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Vom Sieg über den Drachen in Yaoundé



Es ist schwül und leicht bewölkt. Die Straße ist unwegsam und besteht entweder aus Schlamm oder Staub, doch haben wir Glück: Die Regenzeit hat noch nicht eingesetzt. In diesem Fall wäre die Strecke vermutlich unpassierbar. Im letzten Dorf vor der Grenze Nigeria/Kamerun investieren wir unsere verbliebenen Nairas – die nigerianische Währung – in 10 Liter Benzin so wie eine mächtige Portion Bananen. Die Grenzbeamten sind ausgesprochen freundlich, doch zieht sich der Papierkram ewig hin.

Neben uns sitzt ein etwa 30-jähriger Kameruner, welcher von dem großen Kirchenevent schwärmt, von dem er gerade zurückkommt – in Lagos, 1000 Kilometer Dschungel, Schlamm und Stau entfernt! Es ist Abzocke im großen Stil: Überall in Westafrika finden sich riesige Werbeschilder an den Straßen, mithilfe derer dubiose Prediger für ihre – natürlich kostenpflichtigen – Massenveranstaltungen werben. Sie sprechen von Erlösung, Wundern und Schicksal und finden in der meist ungebildeten, durchgehend religiösen Bevölkerung leider eine einfache Zielgruppe.

Wieder draußen, müssen wir uns zunächst einer Gruppe junger Dorfburschen erwehren, die uns ihre Dienste als Begleitschutz anbieten. Die letzten nigerianischen Meter fahren wir über eine kleine Brücke, dann befinden wir uns in Kamerun. Der einsame Grenzposten freut sich über den Besuch, lästert über die schlechten nigerianische Passstempel, die man ja überhaupt nicht lesen könne und telefoniert anschließend mit seinem Kollegen im nächsten Dorf. Dort nämlich laufen die Wege von zwei unterschiedlichen Grenzübergängen zusammen, die sich einen einzigen Stempel teilen. Während wir also ins Auto steigen und losfahren, flitzt parallel der Beamte der anderen Grenze samt Stempel in Richtung Dorf.

Alles klappt problemlos, und wir machen uns auf den Weg in Richtung Buea, einer kleinen Stadt gelegen an der Südostflanke des Mount Cameroon – mit 4095 Metern der höchste Berg Westafrikas. 300 Kilometer und eine Menge Regen, Schlamm und Schlaglöcher (siehe Bildbeweis) später erreichen wir unser Tagesziel und schlagen auf dem Parkplatz einer katholischen Mission unser Lager auf.

Spontan beschließen wir, am nächsten Tag den Berg zu besteigen. Doch schon bei der Frage, wo der Aufstieg beginnt, setzt die Ernüchterung ein: Anstatt einfach zu Antworten erwidert uns ein jeder „You need a Guide?“. Nein, wir wollen keinen Guide, wir wollen wissen wo der Aufstieg beginnt. „That’s not possible! You need a Guide!“. Offenbar ist eine Besteigung ausschließlich innerhalb einer Drei- oder Fünftagestour möglich, mit Führer und Gepäckschleppern inklusive. Preis: zu teuer für unser Budget. Immerhin finden wir schließlich doch noch heraus, wo der Weg beginnt.

Es ist eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Um 04:00 nachts klingelt der Wecker, wir stärken uns mit Haferflocken und Milch. Die Rucksäcke sind gepackt mit Kleidung, Spaghetti-Omelettes, Keksen, Müsliriegeln und Wasser. Sämtliche Führer, Träger und „that’s not possible“-Menschen schlafen. Hoffentlich. Stirnlampen auf und los!

Das erste Drittel des Aufstiegs führt durch den Wald. Es ist feucht, rutschig und stockdunkel. Irgendwann erreichen wir einen ersten Checkpoint, den wir unbemerkt passieren. Der zweite Checkpoint ist eine Hütte, in der die Dreitagestour-Touristen bekocht werden und nächtigen. Jemand bemerkt uns und ruft uns hinterher, wir beeilen uns weiterzukommen. Als der Wald endet ist es schon hell. Wir bemerken eine Gestalt, die uns folgt. Es ist einer der Führer, welcher von unserem Beobachter alarmiert wurde. Endlose Diskussion, letztendlich behaupten wir, den Berg schon öfter bestiegen zu haben und den kompletten Weg zu kennen. So müssen wir nur die Nationalparkgebühr zahlen und werden weitergelassen.

Wie erwartet, wird der Aufstieg schnell unglaublich anstrengend. Der Weg ist steil, voller Geröll und nach ca. zwei Drittel des Weges hört die Sicht auf. War es zuvor selbst mit T-Shirt zu warm, sind wir nun von Wolken umgeben, es ist kalt und windig. Immer öfter treffen wir andere Aufsteiger, welche in einem der Camps genächtigt haben. Dann – nach ca. 8 Stunden Aufstieg – erreichen wir den Gipfel. Es fängt an zu Schütten. Schnell ein Siegerfoto und umkehren. Wieder etwas weiter unten kommen wir in einer kleinen Hütte unter, in der wir mit anderen Wartenden auf das Ende des Regens hoffen. Eine Stunde später geht es weiter. Wir sind völlig am Ende, als wir den Wald erreichen – die letzte Etappe. Durch den Regen ist es noch rutschiger geworden als zuvor. Da wir zudem die Muskeln in unseren Beinen irgendwann nicht mehr spüren, geht es nun mal vorwärts, mal rückwärts und mal rückwärts auf allen Vieren weiter. Der Weg scheint nicht zu enden. Dann, endlich, lichtet sich der Wald. Selbst die letzten Kilometer Gras und Asphalt ziehen sich auf schreckliche Art hin. Es dämmert bereits als wir das Auto erreichen. Geschafft!

Unsere nächste Station: Douala, das wirtschaftliche Zentrum Kameruns. Auch hier kommen wir in einer katholischen Mission unter. Als wir zu unserem ersten Termin aufbrechen wollen, lernen wir eine wichtige Lektion: Nächtigt man in einer Mission, so sollte man sich über die Zeiten der Gottesdienste informieren. Denn ist ein solcher im Gange, wird mal schnell ein ganzer Hof zum Parkplatz umfunktioniert.

Wir statten der S2-GmbH einen Besuch ab, gegründet von den beiden Freunden Hervé und Durando. Sie haben sich während ihres Ingenieursstudiums in Deutschland kennengelernt, betreiben nun in Kamerun eine Beratung zum Thema erneuerbare Energien und verkaufen eigene Software für kleine Unternehmen. Zudem leiten sie in Kamerun das Nuru-Projekt. Es ist ein internationales Projekt zur Versorgung der ländlichen Bevölkerung mit elektrisch erzeugtem Licht, welches neben Kamerun auch in mehreren ostafrikanischen Ländern sowie Indien realisiert wird. Das Konzept ist zugeschnitten auf die Gewohnheiten der Menschen im Umgang mit Kerosinlampen:

Im Rahmen des Nuru-Projekts wurden robuste Mehrzwecklampen entworfen, welche – je nach Helligkeitsstufe – 9, 15 oder 24 Stunden ununterbrochen leuchten können. Der lokale Händler welcher bislang Anlaufstelle für Kerosin war, ist nun Anlaufstelle für Ladung. Im Rahmen des Projekt erhält er zunächst kostenlos ein Gerät im Stile eines Liegefahrrads, mit dem man 5 Lampen in 20 Minuten laden kann. Das Aufladen seinerseits erfordert jedoch Credits im Gerät, welche der Händler per Handy von den Nuru Betreibern kauft – es handelt sich also um ein vollwertiges Geschäftsmodell. Den Betreibern stehen die Statistiken aller Aufladegeräte online zur Verfügung, sie können direkt Kontakt aufnehmen, Probleme identifizieren oder Trends erkennen.

Weiter geht es in Richtung Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns. Die Straße ist mittelmäßig, stellenweise übersät mit Schlaglöchern und überall finden sich umgekippte LKWs links und rechts im Graben. Wie wir später erfahren, haben die Deutschen Kamerun einen vierspurigen Highway zwischen Douala und Yaoundé finanziert. Gebaut wurde eine zweispurige Straße – die beiden anderen Spuren stecken nun in irgendjemandes Tasche.

In Yaoundé angekommen, suchen wir das Gästehaus von André, einem Kontakt unserer Nuru-Bekanntschaften. Er spricht Deutsch, ist in der Vergangenheit viel in Europa gereist und betreibt nun mit dem FIIAA eine Art Kulturzentrum. Hier stellt er lokale Kunst aus, organisiert Film- und Kulturabende und hat einen überaus gemütlichen Biergarten im Hinterhof.

Es ist wieder Zeit für Visa-Anträge. Diesmal: Gabun, Republik Kongo und Äquatorialguinea. Wieder handelt es sich um einen Kampf. Äquatorialguinea: Unmöglich. Ein kleines, durch sein Öl reiches Land welches niemanden hereinlässt. Nur als Kameruner darf man überhaupt erst versuchen, einen Antrag zu stellen. Schade. Kongo: Nach einigem Hin und Her haben wir alles beisammen. Abgeben und warten.

Gabun: Auch hier ist man gerade im Ölrausch, das Land ist reich und macht die Einreise schwer. Auch für Kameruner. Die Botschaft ist daher zu jeder Tageszeit voll. Wir machen Bekanntschaft mit dem „Drachen“. Sie arbeitet dem Botschafter zu, schreit gerne mal Wartende an und zerreißt Anträge wenn ihr eine Unterschrift nicht passt. Das Beste: Wir benötigen offenbar eine Bestätigung der deutschen Botschaft bezüglich unseres Vorhabens.

Also, ab zur Botschaft. Versehentlich statten wir jedoch dem deutschen Konsulat einen Besuch ab. Hier werden wir von einem älteren Herrn vorwurfsvoll gefragt, wie wir uns das denn bitte vorstellen, im laufenden Betrieb einen Antrag zu stellen. Im laufenden Betrieb! Was haben wir die deutsche Bürokratie vermisst! Wir erzählen vom Drachen und bekommen immerhin einen Termin am nächsten Tag. Diesmal in der Botschaft.

Hier machen wir Bekanntschaft mit Katrin und Adjoa, welche sich in Yaoundé im Rahmen ihrer Auslandstätigkeit für Deutschland sehr für die lokale Musikszene engagieren. Zwar hat das Land offiziell einen Kulturminister, der auch über ausreichend Budget verfügt. Doch davon sehen die Kameruner nichts – obgleich es eine Vielzahl genialer, hochtalentierter Musiker und Künstler im Land gibt. Beide helfen uns zügig mit unserem Schreiben und laden uns auch gleich noch zu einem Kabarett in Yaoundé ein. So treffen wir uns am Abend in einem alternativen Club, in dem eine lokale, äußerst talentierte junge Sängerin auftritt. In der Pause lässt es sich der Moderator nicht entgehen, drei auffallende Gäste von außerhalb des Publikums auf die Bühne zu bitten… sehr zur Freude des Publikums.

Am nächsten Tag treffen wir Madiba, den Gründer von Kiro‘o Games, einem Game-Design Studio. Vor uns liegt ein etwas heruntergekommenes Gebäude, wir wissen nicht genau was wir erwarten sollen. Als Madiba uns jedoch in seinem Reich herumführt, können wir unseren Augen kaum glauben: Im großen Hauptraum sitzen ca. 20 Programmierer und Designer, ausgestattet mit großen Flachbildschirmen und digitalen Zeichenbrettern, allesamt eifrig am Arbeiten. Die Wände sind übersät mit Bleistiftzeichnungen und Zeitplänen. Das Kiro’o Games Studio arbeitet derzeit an seinem ersten großen Computerspiel: Aurion, ein 2D Adventure. Besonderheiten sind u.a. die afrikanischen Einflüsse auf die Charaktere sowie die Spielwelt sowie die ausgeprägte Detailtiefe.

Alle Mitarbeiter von Kiro’o Games sind absolute Nerds – und zwar im positiven Sinne! Sie begeistern sich dafür, Überlegungen zu den Effekten von Zaupersprüchen, zu magischen Schwertern sowie allen noch so kleinen Bewegungen der Spielfiguren anzustellen. Und: Sie wissen genau, was sie tun. Die Zielgruppe von Kiro’o Games sind keine Casual-Gamer, sondern Game-Lover: Spieler, die auf Details achten, die Spiele lieben weil sie in die Tiefe gehen einzigartig sind. Dabei sind sie offenbar auf dem richtigen Weg. So gibt es schon mehrere Investoren, etwa aus Kanada, sowie mehrere Artikel über sie in internationalen Zeitschriften. Weiterhin verkaufen sie derzeit Anteile, um ihr Finanzierungsziel zu erreichen. Wir sind absolut begeistert von der sympathischen Truppe!

Wir verabschieden uns von André und holen unsere Visa ab. Gabon: Check! Kongo: begrenzt Check… aufgrund eines Missverständnisses bleiben uns noch fünf Tage bis wir den Kongo verlassen müssen. Fünf Tage! Und wir sind nicht einmal in Gabun! Also schnellstmöglich ab nach Süden.

Die Straße ist gut ausgebaut, allerdings werden wir immer wieder von Checkpoints angehalten. Die meisten sind freundlich, andere wiederum wollen sich durch fiktive Dokumente – die wir natürlich nicht haben – ihr Gehalt aufbessern. Am Abend halten wir zum Essen in Ambam, einem kleinen Dorf in dem sich die Straße in zwei Richtungen aufteilt: Äquatorialguinea im Süden sowie Gabun im Südosten. Es gibt vorzügliche, aber fast unerträglich scharfe, Sandwiches mit gegrilltem Rind.

Im Anschluss fahren wir etwa fünf Kilometer vor der Grenze zu Gabun in den Busch, irgendwo im Nirgendwo. Der Klassiker.